„So fängt alle Erkenntnis mit Anschauungen an, geht von da zu Begriffen und endet mit Ideen“
(Immanuel Kant,
Kritik der reinen Vernunft)
Politische Theorie und Ideengeschichte hat besonders in Zeiten des Wandels durch ihre intrinsische Innovativität, Kreativität, Originalität und ihre konsequente und stetige Anpassung an ihren Forschungsgegenstand als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen gegolten. Die Analyseobjekte der politischen Theorie stehen im Brennpunkt zwischen ideengeschichtlichen Erfahrungsraum und politischen Erwartungshorizont, denn sie greifen gesellschaftliche Herausforderungen nicht nur inhaltlich auf, sondern irritierten und irritieren durch den Einsatz von bewussten, normbrechenden Mitteln als universell gültig erachtete Heuristiken der Wahrnehmung und Deutung der sozialen Welt, verunsichern systemische Gewissheiten und hinterfragen überkommene Denkmuster sowie etablierte soziale Machtzuteilungen. Zudem sind die axiomatischen Universalien politischer Konfliktfelder und die zeithistorischen Problemherde gesellschaftlichen Zusammenlebens in den Texten der Ideengeschichte vorangegangener Jahrhunderte derart pointiert und fokussiert behandelt, dass die szientifizierte, positivistische wissenschaftliche Auseinandersetzung nur schwer den Grad der Eindrücklichkeit erreicht, da diese sich zum größten Teil diejenigen wirkmächtigen metaphorischen Instrumente der Sprache versagt, die gerade die Virtuosität einer Vielzahl relevanter politischer Theoretiker ausmacht.
Man is ... compelled to face with sober senses his real conditions of life.
Even the greatest thinkers are only children of their time.
Ideas shape the course of history
In der Auseinandersetzung mit politischen Ideen ist durch die zeitliche Tiefe, thematische Breite, und inhärente Aktualität des Gegenstandes mehr erlaubt als in den anderen ausdifferenzierten politikwissenschaftlichen Subdisziplinen. Das macht politische Theorie und Ideengeschichte aber nicht zum bloßen Vorratsdatenspeicher, in dem nur die "originellen Appetizer" zur Weiterverarbeitung und späteren Verzehr im öffentlichen Diskurs verwahrt werden. Methodologische Zucht und erkenntnisschärfende Ordnung kommen nicht ohne die Verengung des Blickfelds, das Zurechtschneiden der Materie und die Abgrenzung des Bereichs aus. Das Kerngeschäft der Wissenschaft ist Diszipliniertes Denken: „…[w]e seek no dogma, but disciplined thought“ (King 1994: 7). Wenn sie Wissen schaffen und dadurch gesellschaftliche Relevanz erlangen oder erhalten will, so muss sich die politikwissenschaftliche Disziplin durch das gelegentliche hemmungs- und schrankenlose Denken selbst auffrischen. Andernfalls reproduziert sie nur ihre eigenen Techniken und alten Vorstellungen. Die politische Theorie ist zeitlich wie sachlich der offenste Bereich und insofern qua definitionem im Vergleich zum Feld der Internationalen Beziehungen, zur Policy- oder vergleichenden Systemanalyse schlicht disziplinloser. Ironischerweise wird sie aber genau dadurch der prinzipiell offenen, komplexen und kontingenten Struktur politischen Handelns am besten gerecht.
Ich möchte auch auf einen vollkommen subjektiven Vorzug hinweisen, der sich einstellt, wenn man sich mit der Ideengeschichte beschäftigt. Es macht schlicht Freude, sich in den Werken eines Aristoteles, Kants, oder einer Hannah Arendt wiederzufinden - vielleicht auch weil man schon wieder vergessen hatte, dass es nicht der eigene Gedanke war, sondern man das Buch schlicht zum zweiten Mal in der Hand hält. Genauso erfüllend kann es sein eine logische Lücke bei Machiavelli, Rousseau oder Adam Smith zu entdecken. Ich glaube das resultiert aus einer eigenartigen Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstzweifel. Immerwährend sind wie Heranwachsende, die einerseits die Ehrfurcht vor diesen intellektuellen Halbgöttern noch nicht ganz ablegen können, haben wir doch von Ihnen gehört und schwingt in ihren Namen immer das Versprechen auf eine tiefere Einsicht mit. Und dennoch, streben wir andererseits danach, uns ihrer Bevormundung zu entledigen.